Autonome Ästhetik als Wirtschaftfaktor Berlins
Touristen und Zugezogene lieben die zugeschmierten Wände Berlins. Das Stadtmarketing kann sich bei all den nächtlichern Sprayern und Takern bedanken, die auf eigene Kosten den Look Berlins bestimmen und umsetzen.
Folkloristisch gestaltete Wand in Berlin
Cafe mit integriertem Farbanschlag
Die Autonome Ästhetik ist Massengeschmack geworden. Eine interessante Wandgestaltung fand ich innerhalb dieses Cafes in Kreuzberg. Waren die Autonomen schon da und protestierten damit gegen das Hipster Cafe oder bekundet der Besitzer mit dieser expressiven Dekoration Zustimmung zu dieser Form des Klassenkampfes? Die Besitzer verzierten ihre Getränketafel mit einem Farbanschlag als stilistische Anbiederung an den Geist Kreuzbergs. Eine Ästhetik auf die die anarchistische Bewegung lange stolz gewesen ist, wird kommerzialisiert und entwertet. Aktion wird Design. Es scheint niemanden zu stören, weil sich diese Umdeutung still vollzieht und nicht kritisch hinterfragt wird.
CarLoft in Kreuzberg – Sachschäden getarnt als expressionistisch autonome Wandgestaltung
Das CarLoft ist eine Immobile neueren Datums, die in Berlin für eine Menge Wirbel in der linksalternativen Szene gesorgt hat. Die Bewohner können mit Hilfe eines Lastenaufzuges ihren PKW direkt mit in die Wohnung nehmen. Dieses Konzept hat viel Hass und Zerstörungswut bei vielen Menschen freigesetzt. Zu Anfang stand das Gebäude unter 24 Stunden Bewachung um Glasschäden und Farbanschläge zu vermeiden. Aus Kostengründen wurde der Wachschutz eingestellt, deshalb konnten Randalierer das Haus in ihrem Sinne “verschönern”. Dem Übermalen von Graffiti und dem ständigen Austausch neuer teurer Scheiben überdrüssig geworden, machte man die zerstörte Wand zum Expressionistischen Kunstwerk, welches von den Autonomen auch als Werk von Kollegen gesehen werden kann. Bestimmt hat der Malermeister mal auf einen Jackson Pollock geschaut und dachte: “Das kann ich auch”, aber Tiefenwirkung, Komposition und Farbgestaltung entsprechen nicht den Qualitätskriterien einer durchkomponierten expressionistischen Arbeit. Man hätte einen Künstler engagieren sollen, der die Schäden integriert und die Kritik an dem Gebäude auf sensible Art und Weise aufnimmt und damit neu interpretiert.
Adbusting im öffentlichen Raum
Die Band Kraftklub warb für ihre neue Veröffentlichung im Stil eines Streetart Wandbildes. Die Figur trägt eine klassische Sturmhaube, wie sie auf Demos verwendet wurde, bis sie dem polizeilichen Vermummungsverbot zum Opfer viel. Beide Hände sind erhoben zum “Fuck the Devil” Zeichen welches auch ein Band Symbol ist. Der Schriftzug ist sehr sauber in Blockschrift gestaltet und fern von nächtlich illegal aufgesprühter autonomer Ästhetik. Während der Kampagne wurde die Schallplatten Ankündigung geschwärzt und es erschien der Antifaschriftzug. Augenscheinlich aufgetragen mit einer sehr breiten Rolle, das A am Ende nicht vollendet. Mußten die nächtlichen “Täter” flüchten? In Fachkreisen wird die Veränderung von Werbung im Öffentlichen Raum “Adbusting” genannt. Es gibt im Internet viele Seiten die sich mit dieser Aktionskunst auseinandersetzen. Bei der Adbusting Aktion in der Warschauerstraße könnte aber das Adbusting teil der Werbeaktion von Kraftklub sein, da die Band seit längerem offen für diese Gruppierung sympathisiert. Die bekannte Kraftklub Figur ist geblieben, damit ist es immer noch ein Kraftklub Plakat, aber der Betrachter verbindet Band nun mit der Antifa, die sehr beliebt ist in Berlin Friedrichshain Kreuzberg. Nun bekommt die Band eine Authentizität und politische Heimat mit Rebellengestus. Beim zuständigen Amt wäre eine Genehmigung für ein Haushohes Antifa Wandbild im öffentlichen Raum wohl abgelehnt worden. Fans der Antifaund der Band werden mit dem hippen Medium “Adbusting” in Verbindung gebracht und profitieren voneinander.
Carsten Lisecki ©