Seit 50 Jahren hat Wolfgang Eichner den größten Vorgarten Berlins. Neues Wohnen im „Townhouse“ in der Berliner Mitte? Dieses Statement ist für den gutgelaunten 85jährigen Friedhofsverwalter Amtmann Eichner ein alter Hut, denn er wohnt in einem großzügigen Landhaus mit angeschlossenen acht Hektar Park seit nun 50 Jahren, einen Steinwurf vom Alexanderplatz entfernt. „Wohn- und Arbeitsrecht auf Lebenszeit habe ich “ sagt der Jubilar und passionierte Jäger, der sich stets nach Gutsherrenart grün gekleidet von der wild wuchernden Fauna des St.- Nicolai- Marien- Friedhofes kaum abhebt. In einer Ecke des Areals hat er aus dem Bruch alter Grabsteine und Kirchenbänken liebevoll einen Grillplatz für seine Jagdgesellschaften angelegt. Man kann sich sehr gut vorstellen, wie gesellig es zugeht, wenn die betagten Waidmänner ihr frisch erlegtes Wildbrett im Schatten des Fernsehturmes zubereiten und ihrem gastgebenden Kameraden, der lässig am Obelisken der Familie Blödorn lehnt, mit einem kräftigen Wacholderschnaps hochleben lassen. Zu später Stunde wird der Amtmann von seinen Jagdbrüdern dann damit geneckt, dass er sich, um der grassierenden Karnickelplage auf dem Gottesacker Herr zu werden, wohl einen Schalldämpfer auf die Büchse schrauben muss, um die Nachbarn in den benachbarten Plattenbauten nicht aufzuschrecken… Der Herr über 12000 Tote und einen Untoten namens Horst Wessel hat mit demselbigen an Jahrestagen immer noch viel zu tun, wenn Gäste aus aller Welt der Nazi- Ikone Tribut zollen wollen. Das Grab ist als solches kaum zu erkennen, doch laut Eichner ist „über dieses blöde Internet“ die Grabstelle leicht zu finden. Vor ein paar Jahren brüsteten sich ein paar linke Politclowns, die sich „die autonomen Bestatter“ nennen damit, den Kopf des Unseeligen ausgegraben und in die Spree geworfen zu haben. Dazu schweigt der feudale Amtmann wohlwissend, da er die Diskussion und die damit verbundene Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit nicht wieder anheizen möchte. Er mag keine ungebetenen Gäste. Vor zehn Jahren brachen laut Eichner acht Rechtsradikale in sein Haus ein, um sich für eine Anzeige zu „bedanken“, die er einem der ihrigen einbrachte, als dieser bei einem Besuch des Wessel Grabes einen SS-Totenkopfring trug. Der damals 75jährige Waffenscheinbesitzer erschoss einen der Eindringlinge beim nächtlichen Ringkampf mit seinem Revolver in Notwehr. „Seitdem ist Ruhe hier“ sagt der Veteran nicht ohne Stolz. Ansonsten geht es hinter den Friedhofsmauern recht beschaulich zu, wenn da nicht die Grufties wären, die Särge ausgraben und den Leichnam auskippen, weil sie zuhause im Sarg wohnen, erklärt der toughe Pensionär, wobei ein kritischer Geist, diese Aussage unter Jägerlatein verbuchen könnte , hat man doch in letzter Zeit die Mitglieder dieser subkulturellen Strömung kaum noch im Stadtbild bemerkt, und deren Nachfolger, die Bollos, Visus und Emos, sich vor einer solchen nächtlichen Aktion bestimmt total ekeln würden. Dabei wäre es auch auf Grund des Angebotes schwierig, ein intaktes Erdmöbel zu finden, da Amtmann Eichner, wie er sagt, schon glücklich sei, wenn er fünf Beisetzungen im Jahr habe und Särge, bei denen „nichts geschraubt und nichts geleimt ist, nach ein paar Jahren einfach auseinander fallen, obwohl das Holz noch intakt ist“. Gerne bemerkt der rüstige Audi A8 Quattro Fahrer süffisant, dass er am liebsten Doppelstellen vergebe – das mache dann 3000 Euro. Dieses ist für die gentrifizierten Bewohner Mittes eigentlich zu billig um einen Hype auszulösen und es wird auch noch ein paar Jahre dauern, bis der demographische Wandel aus Eichners Refugium einen Hotspot macht. Carsten Lisecki 2008
Nachruf Deike Diening Tagesspiegel