Der Stararchitekt Alfred Messel verzichtete 1900 auf sein Honorar für Projekte des Sozialen Wohnungsbaus. Er gilt als einer der Erfinder des selbigen und half die Wohnungsfrage seiner Zeit zu lösen, vor der wir heutzutage wieder stehen. Messel darf laut des Alfred-Messel-Forschers Dr. Robert Habel der bürgerlichen, liberalen Klasse zugerechnet werden, was das Argument, sein sozialer Wohnungsbau sollte den Zulauf zur SPD bremsen, und kaiserliche Positionen in der Arbeiterschaft stärken, entkräftet.
Seit fünfzehn Jahren wohne ich in einem Quartier Messels in der Ebertystraße. Der Hauptfokus der Messel-Forschung liegt auf den Kaufhäusern, die für die damalige Zeit bahnbrechend waren. Für mich sind aber Messels Ideen, die er gemeinsam mit dem Bankier und Sozialreformer Valentin Weisbach entwickelte und umsetzte, mindestens genauso bemerkenswert. Arbeiter sollte es ermöglicht werden, hell und luftig und ästhetisch anspruchsvoll zu wohnen. Nebenher hatte “Wohnen” nach Jan Feustel (Buch Wilhelminisches Lächeln) auch eine erzieherische Nuance, da jedes Haus über Gemeinschaftsräume für Bildungsveranstaltungen, Bibliotheken und Kindergärten verfügte. Auch entstanden hier die ersten öffentlichen Spielplätze Berlins und im Winter gab es sogar eine Eisbahn in dem riesigen Innenhof.
Wohnformen heute und gestern. Sehnsucht nach Gemeinschaft, Individualität, günstigem Wohnraum. Ist Alfred Messels historische Wohnanlage ein gelungenes Beispiel für eine gesunde Balance von Miteinander und Anonymität?
Fühlt man sich in dieser Atmosphäre aus warmen Klinkern und historisierender Fassade wohl? Warum wird der Innenhof “Square” selten gemeinschaftlich genutzt und welche Aktionen und Projekte können ausgewogene Gemeinschaft und ein Miteinander fördern? Mein Projekt ist Forschungsarbeit im eigenen Umfeld. Kann Aufklärungs und Bildungsarbeit über das denkmalgeschützte Ensemble bei den Mietern eine tiefergehende Verbindung zum Baukörper Messels schaffen? Ist die ständige Forderung nach partizipatorischer Beteiligung von Bewohnern vergleichbar mit den erzieherischen Bestrebungen von Wohnen während der Kaiserzeit? Taugt dieses herausragende und wegweisende Kapitel Sozialgeschichte als Vorbild zur Planung neuer Wohnviertel, um den Wohnungsmangel auf Grund politischer Fehlplanungen und Berechnungen der 90er Jahre zu beheben? Aus “Berlin ist Pleite und schrumpft” wurde innerhalb kurzer Zeit ein internationaler, begehrter Investitionsstandort und Wohntraum für Menschen aus der ganzen Welt. Messels Reformwohnungsbau wurde in einer Zeit geschaffen, in der auch Berlin dringend schnelle Lösungen für die wachsende Stadt benötigte. Trotzdem wurde qualitativ und hochwertig gearbeitet und die Häuser sind immer noch in öffentlicher Hand und bieten weiterhin Mietern mit einem geringeren Budget Wohnraum.
Alfred Messel – Politisches Bauen und Vordenker des Bauhaus
Alfred Messels Arbeiterhäuser waren der Startschuss für ein Umdenken im Bau günstiger, aber komfortabler und architektonisch richtungweisender Wohnungen. Auch die Ästhetik der Wohnanlage sollte den Mieter langfristig an das Haus binden. Er sollte sich heimisch fühlen und häuslich einrichten und sich von Gasthäusern fernhalten.
In den Gemeinschaftsräumen organisierten die bürgerlichen Schichten Kulturveranstaltungen und Kindergärten nach englischem Vorbild. Es gründete sich der Frauenverein Octavia Hill, der ein erzieherisches Anliegen verfolgte. Bad und Küche waren schmal geschnitten, um den “unsittlichen” Gepflogenheiten der Schlafgänger keinen Platz zu bieten. Das Bürgertum verfolgte mit der Neukonzeption und Förderung des von ihm initiierten sozialen Wohnungsbaus eine Erziehungsabsicht, die die unteren Schichten näher an ihren Moralkodex heranrücken sollte. Die Wohnungen waren so konzipiert, dass die Hausfrau bei der Arbeit in der Küche das auf dem Hof spielende Kind beaufsichtigen konnte. Sie sollte die Wohnung gemütlich gestalten, damit der heimkehrende Gatte sich nicht genötigt sah, sein Geld im Wirtshaus zu verschwenden. Das Wirtshaus galt als ein Bollwerk der SPD, da im Bismarckschen Sozialistengesetz das Versammlungsverbot nicht auf die Kneipe ausgeweitet wurde. © Carsten Lisecki
„Alfred Messel – Intervention Zum Tag des offenen Denkmals“
Am 11.September 2016 inszenierte ich eine dreistündige performative Führung durch das Friedrichshainer „Messelsche Weisbachviertel“, in dem ich seit 2005 lebe. Fundament dieser Performance bildete eine Recherche über die Historie des Sozialen Wohnungsbaus, der von Baukünstler Alfred Messel mitbegründet wurde. Ich hatte die Absicht ein neues Format zu präsentieren, welches mit dem Einsatz eines Schauspielers und eines Historikers, Geschichte erlebbar macht. Aus Teilnehmerperspektive übte dieser Tag des offenen Denkmals schon lange eine Anziehungskraft auf mich aus und freute mich, dass ich nun selbst das Friedrichshainer Bauensemble einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen konnte.
Ich arbeitete mit dem Schauspieler Henning Schulte zusammen, der historische Texte zur Baugeschichte verlas. Er zitierte aus dem Buch “Die Wohnungsnot in den Großstädten und die Mittel zu ihrer Abhülfe”1 und aus dem Buch “Zum 25 jährigen Bestehen des Vereins zur Verbesserung der kleinen Wohnungen in Berlin”2. Sie verdeutlichten die historische Sichtweise der oberen Schichten auf die Verhältnisse in den Arbeitermietshäuser und dienten als Sichtbarmachung der Verhältnisse, die zu den Bestrebungen führte, eine Reform des Wohnungswesens für Arbeiter umzusetzen. Die vom Schauspieler gelesene Auflistung über die Berufe der tatsächlich in den Häusern um 1913 wohnenden Personen zeigte aber auf, dass Arbeiter immer noch eine Minderheit in dem Komplex bildeten. Die historischen Texte mündeten im Vergleich mit der gegenwärtigen Wohnungsfrage. Charakteristisch hierfür ist das Schlafstellenwesen damaliger Zeiten und die heutige Untervermietung mittels Airbnb.
Der Historiker und Messel Experte Dr. Robert Habel brachte sein fundiertes Wissen ein, welches die Veranstaltung wissenschaftlich untermauerte und auch die Basis für weitere vertiefende Fragen der ZuschauerInnen bildeten. Wir vermittelten die Dringlichkeit im Geiste Messels, auch heute über Innovationen im Sozialen Wohnungsbau nachzudenken.
Um die Gruppe geschlossen in die zum Filmvorführraum umgestaltete Wohnung zu führen, wurde wiederholt auf deren Querlüftung verwiesen, die bei den Temperaturen um 30 Grad Abkühlung mit Hilfe des “frischen Luftzuges” versprach. Die TeilnehmerInnen erfahren so die Vorteile einer Messel´schen Reformwohnung am eigenen Leib.
Als Vorbilder für die Öffnung meiner Wohnung dienten neben dem klassischen, privaten Kunstsalon auch die unkonventionellen, halböffentlichen Wohnmodelle der Protagonisten meines Essay Filmes von 2016 „ „Ladenwohnung, Wagenburg und Querbelüftung“. Die Gruppe nahm gerne meine Einladung an und verweilte auch nach dem Film in meiner Wohnung, um historisches Fotomaterial zu begutachten und Messels innovatives Projekt in den Kontext des aktuellen Mangels an bezahlbarem Wohnraum zu stellen.
1Albrecht, Heinrich: „Die Wohnungsnot in den Großstädten und die Mittel zu ihrer Abhülfe“, München 1891.
2Aschrott, Felix Paul: „Zum 25 jährigen Bestehen des Vereins zur Verbesserung der kleinen Wohnungen in Berlin”, Berlin 1913.