Straßentheater Nukkad Natak – Community Building im Reichen Ghetto Kurstraße Berlin

Die Wiedergeburt des politischen Straßentheaters: “Kurpark Börek”

Der Aufruf: Auf dem Reißbrett entstandene Quartiere benötigen viel Zeit um in das soziale und kulturelle Gefüge der Stadt zu diffundieren. Carsten Lisecki inszenierte am 1. Oktober 2016 auf einer Freifläche in der Kurstraße am Aussenministerium in Berlin den “Kurpark Börek” mit Workshop, Lesung und Diskussionsforum. Ziel war es über Begegnungsflächen sowie wechselseitige, integrative Synergien zwischen den Beteiligten und der Nachbarschaft herzustellen. Zum Beginn des goldenen Oktobers sollte jeder seine Tischtenniskelle mitbringen, um Spiel und die Diskussion über Stadtentwicklung an der Tischtennisplatte miteinander zu vereinen.

Zwischen Caroline-von-Humboldt-Weg und Kurstraße liegt das grüne Tortenstück welches von partizipatorischer kultureller Intervention und Community Building noch unberührt ist. Check out your Hood ab 14:00 mit offizieller Taufe des namenlosen Geländes in „Kurpark Börek“, Stadtentwicklung von Oben!

Der Trailer:

Dank an Johannes Bock für die schönen Bilder

Standortbeschreibung

Den Standort „Kurstraße“ habe ich bewusst gewählt, da es sich um einen Straßenzug handelt, der auf dem Reißbrett entstanden ist. Seit der Ausschreibung im Jahr 2004 entstanden hier 47 Townhouses bzw. Reihenhäuser mit kleinem Privatgärtchen. Nur sechs Minuten mit dem Fahrrad vom Alexanderplatz entfernt – unweit des Auswärtigen Amtes – liegt hier eine Nachbarschaft, die von partizipatorischer kultureller Intervention bis zu meiner Aktion unberührt geblieben ist. Die Fassaden sind individualisiert, vermitteln durch bodentiefe Fenster eine Transparenz von Innen nach Außen. Es gibt keinerlei kleine Gewerbetreibende wie z. B. “Spätis”, Kultur- und Nachbarschaftstreffs oder Galerien. Zentrum des Quartiers zwischen Caroline-von-Humboldt-Weg und Kurstraße ist ein parkähnlicher Grünstreifen. Ein nachbarschaftliches Leben vor den Häusern auf diesem grünen „Tortenstück“ findet nicht statt. Die Sitzbänke stehen separiert und voneinander abgewendet. Ein längeres Verweilen in größeren Gruppen wird dadurch erschwert. Auf dem Platz vor den Reihenhäusern steht eine (für Berliner Verhältnisse ungewöhnlich gut bespielbare) Tischtennisplatte, ohne Löcher wie sonst bei den Tischen in den Höfen der Mietskasernen oder öffentlichen Spielplätzen.

Der Aktion war ein Aufruf vorausgegangen, eine Tischtenniskelle mitzubringen, um Spiel und die Diskussion über Stadtentwicklung an der Tischtennisplatte miteinander zu vereinen. Die StadtplanerInnen haben diesen Ort der Zusammenkunft angelegt, aber er schien mir nicht sehr angenommen und bespielt. Der Ort ist sehr zugig und um ordentliches Tischtennisspiel zu gewähren, wäre ein Windschutz aus Plexiglas angebracht.

Quartiere mit neu erstellten teuren „Townhouses“ benötigen in der Regel viel Zeit um in das soziale und kulturelle Gefüge der Stadt zu diffundieren. Dies wollte ich mit meiner Performance extrapolieren: Der „Kurpark BÖREK“ sollte diese Leerstelle im Stadtzentrum beleben um ins Bewusstsein der Bevölkerung zu gelangen. Der Name der Performance bildet sich zum einen aus dem Namen des Veranstaltungsorte „Kurstraße“ und nimmt zum anderen spielerisch Bezug auf mein Autokennzeichen „BOR-EK-490“. Gleichzeitig weckt es Assoziationen zur typischen Imbisskultur in multikulturell belebten Berliner Kiezen.

Projektbeschreibung und Verlauf der Performance

Die Performance war wie eine lokalpolitische Info-Veranstaltung aufgebaut, mit PKW, Sonnenschirm, Tisch mit Informationsmaterialien zum Thema Sicherheit, Kataloge für Luxusartikel, Merchandising in Form von Aufklebern, T-Shirts und Tassen mit dem „Kurpark Börek“- Logo und ein Flip Chart zum Sammeln von Ideen für gute Nachbarschaftsbeziehungen. Zur Eröffnung hielt ein „Anwohner“, dargestellt von Schauspieler Scacco Henning Schulte, eine von mir verfasste Rede und bedankte sich für die Nachbarschaft fördernde Intervention. Auszug aus der Rede:

Vielen, vielen lieben Dank für Ihr Erscheinen. Unser Kiez hatte keinen Namen. Ein blinder Fleck auf google earth. Auf Fragen: “Wo wohnst du denn, wo ist deine hood” wusste ich keine passable, adäquate Antwort. Oft musste ich mir folgende nicht ganz unrichtige Kritik anhören: Unsere kleine Siedlung wäre eine Aneinanderreihung vorstädtischer Wohnbebauung an einem eigentlich unpassenden Ort. Bei aller Vielfalt der Fassaden führt diese Monokultur doch nur dazu, dass die gern geforderte städtische Urbanität gar nicht entstehen kann. Das Leben spielt sich dort hinter verschlossenen Türen ab.“

Der namenlose Grünstreifen vor den Townhouses wurde durch das Zerschneiden des roten Bandes „Kurpark Börek“ getauft.

Ich suchte mit dieser Performance Antworten auf die folgenden Fragen: Warum werden Neubauviertel mit solventen AnwohnerInnen nicht mit Kunst und Kulturprojekten bespielt, um in das soziale Gefüge der Stadt integriert zu werden und wie reagieren die jeweiligen Anwohner auf Intervention? Ist “Community Building” in diesen Vierteln möglicherweise auch dringlich, um weiterhin eine offene Stadt zu gewährleisten?

Reaktionen und Resümee

VW Entwicklungschef Ulrich Eichhorn generiert sich als Clan-Boss in seinem Problemkiez am Aussenministerium

Die Resonanz der AnwohnerInnen war sehr verhalten. Nur ein Anwohner beteilgte sich an meinem Happening.

Nach Aussage einer Besucherin versuchte der Anwohner (Ulrich Eichhorn, Entwicklungschef bei VW) die Inszenierung unhöflich zu stören und zu unterbrechen. Sie empfand dies als respektlos den ZuhörerInnen gegenüber. Sie verdeutlicht in ihrem Publikumskommentar:

“[D]er hat durch sein Verhalten die Vorannahme bestätigt, dass die Kurstraße ein Ort ist, an dem Leute wohnen, die abgeschottet und ‘unter sich‘ leben, die keine Durchmischung wollen. Sein konfrontatives Verhalten – Ablehnen eines Gesprächs auf Augenhöhe, die Versuche, die Performance sofort abzubrechen, die nach Erfolglosigkeit in haltlosen Denunziationen kulminierten. […] Es gab kein Interesse der Anwohner, sondern nur Ablehnung und Aggression, wofür der Typ das beste Beispiel war. […]
Vielleicht war unser bunter Haufen etwas, was ihm in seiner Doppelbödigkeit und Ironie zu unkontrollierbar erschien. Er wollte uns ja sofort verdrängen. Das könnte symbolhaft für die Verdrängung stehen, die zurzeit in Berlin überall zu beobachten ist. Es gibt ganze Straßen und Schulen, in denen die Leute froh sind, dass sie es nur mit Menschen ihrer Gehaltsklasse zu tun haben.“
(Jasmin K., Theaterwissenschaftlerin)

Meine Aktion verstehe ich auch als Spielvorschlag um mit der Nachbarschaft in Kommunikation zu treten. Im Gegensatz zu den Anwohnern, die aus den Fenstern „Aufhören“ brüllten oder uns ignorierten, begab sich der Anwohner Eichhorn ins Zentrum unserer Aktion und erzeugte dadurch die nötige Relevanz und Reibung. Stellvertretend für seine Nachbarschaft zeigte er Präsenz und verteidigte die Kurstraße vor unserer renitenten Aktion.

Die Inszenierung wurde kurzfristig vom Träger als politische Kundgebung gegen Gentrifizierung bei den Behörden angemeldet, deshalb waren bis zu drei Mannschaftswagen der Polizei vor Ort. Eine Anmeldung als Kunst-Performance im öffentlichen Raum, hätte eine Wartezeit von mindestens einem halben Jahr mit sich gebracht. Ich hatte Bedenken meine Aktion unter dem Versammlungsrecht auszuführen, da kulturelle Veranstaltungen nicht unter das Versammlungsrecht fallen.2 Die Polizei verfolgte aufmerksam unsere Aktion und sah in ihr das Recht auf freie Meinungsäußerung gegeben, deshalb stand der Durchführung nichts entgegen

1 „Börek im Kurpark“ – Taufe & Aktion, Empfang anlässlich des Projekts: ZUsammenKUNFT der Initiative Haus der Statistik, abrufbar unter: https://hausderstatistik.org/boerek-im-kurpark-taufe-aktion/

2https://www.berlin.de/sen/inneres/sicherheit/polizei/recht-der-oeffentlichen-sicherheit-und-ordnung/versammlungsrecht/

Dank an: “Akademie der ZUsammenKUNFT Haus der Statistik1

Kurpark Börek VW Ulrich Eichhorn AFD

Börek im Kurpark / english version

Quarters that were conceived on reis boards need time to become a part of the city´s cultural entity and a vivid community. Carsten Lisecki is the mastermind of the Börek im Kurpark Day (spa garden). He wants to give a big boost to the hood and its social development. On this first of october 2016 everyone around is asked to bring their table tennis rackets. For playing on the table is a crucial engine tool to drive the debate over urbanism to a next level.
Located between Caroline-von-Humboldt-Weg and Kurstr. in Mitte (right next to the german ministry of foreign affairs), this green strip of land, still nameless until that day, will be christened and officially celebrated from 2pm.

Kurpark Börek

Carsten Liseckis Aktionstag „Börek im Kurpark“ betreibt Kiezentwicklung mit Turboboost.

https://www.google.de/maps/@52.5139308,13.3979586,18z