Kommentar The Botticelli Renaissance Gemäldegalerie Berlin

Kommentar The Botticelli Renaissance Gemäldegalerie Berlin 24.09.2015 bis 24.01.2016

“Schrutzäume”

Ursprünglich bezeichnete ein “Schutzraum” einen Sicherheitsbereich, der die Zivilbevölkerung vor Bomben und Granatsplittern schützte. Das flächendeckende öffentliche Schutzraumkonzept zu Zwecken des Zivilschutzes wurde 2007 vom Bund aufgegeben. Die im Zusammenhang mit den Zivilschutzaufgaben des Bundes errichteten Schutzräume werden vom Bund nicht mehr für Zivilschutzzwecke benötigt und im Rahmen eines vom Bund vorgegebenen Verfahrens rückabgewickelt. Der Begriff ist aber nicht aus dem Sprachgebrauch verschwunden, sondern hat sich in seiner Bedeutung verändert, und ist soziologisch konnotiert. Unter dem Begriff Schutzraum versteht man heute einen sozialen Raum, der frei ist von gesellschaftlichen Zuschreibungen, wie z.B. Sexismus, Rassismus, Ausgrenzung und Mobbing. In den letzten Jahren sind Schutzräume für Menschen mit Demenz hinzugekommen und auch in der Diätfrage wird der Begriff neu besetzt, wie in dem Beitrag der Kulturwelle der HU “Riots not Diets? Fettaktivismus zwischen Intervention und Schutzraum ” sehr anschaulich publiziert wurde.
Meine Arbeit bekommt durch die Montage von Szenen die eine hohe Diskrepanz aufweisen, auch humoristische Züge. Psychologen im Team um Chris Westbury von der University of Alberta, haben in einer Studie die Witzigkeit von Gaga Wörtern berechnet. “Festzustellen, dass sonderbare Wörter lustig sind, ist nicht überraschend”, erklärt Westbury. “Aber zu entdecken, dass es einen beständigen und messbaren Zusammenhang zwischen ihrer Absonderlichkeit und ihrer Lustigkeit gibt, ist ein interessanter Fund”.

Die Ausstellung Botticelli Renaissance wirbt mit Schönheit. Die Venus ist Dreh und Angelpunkt der Außendarstellung und dient als mediales Zugpferd der Großveranstaltung. Nacktheit in Werbung und digitalen Medien ist inflationär, trotzdem scheint dieser Umstand im Museumskontext noch Besucherströme auszulösen. Im Museum geht es um Geistige Dinge. Körperlichkeit wird zwar betrachtet und diskutiert, aber eine offensive Körperlichkeit im öffentlichen Raum wird nur dem Bauarbeiter, Sportler und dem Werk im Museum zugestanden. Ein Museum ist ähnlich einer Kathedrale ein Raum, in dem eine Kleiderordnung herrscht, leise gesprochen wird, keine Musik gespielt wird, niemand sein Bier mitbringt und keine sportlichen Übungen verrichtet.

In der Frühphase des Museums gab es noch nicht diese unsichtbaren Grenzen und Schwellen. Das Museum in der Spätrenaissance verstand sich als Wunderkammer und Kuriositätenkabinett. Von dieser Verwandtschaft zeugen heute Zerrspiegel in Vergnügungsparks, oder Toni All, der seit 1979 auf Kirmes Veranstaltungen und Volksfesten als Portraitzeichner arbeitet. Toni All hat an der Documenta 7 (1982,Leiter Rudi Fuchs) teilgenommen.

Nach Bourdieu erwirbt ein Kunstwerk seinen Wert nicht durch den Künstler, die in seine Erschaffung investierte Zeit oder seine Materialität, sondern durch das Produktionsfeld, das „Glaubensuniversum, das mit dem Glauben an die schöpferische Macht des Künstlers den Wert des Kunstwerks als Fetisch schafft“.

In der “Hängereck” Szene tritt der Schausteller als Vermittler und Lebenslehrer auf. Dieser propagiert, dass es sich bei seinem Fahrgeschäft um einen geschützten Raum handelt. Damit baut er bei den Akteuren Ängste ab, sich beim Messen der Kräfte zu blamieren und in der Gruppe des Weddinger Feldes an Ansehen zu verlieren.