Charité Spaßforschung nGbK Berlin

 

Spaßforschung Charité mit Janos Brückner

Die Künstler János Brückner und Carsten Lisecki entwickelten gemeinsam „Spassforschung Charite“ für die nGbK Neue Gesellschaft für bildende Kunst (2017). Sie entdeckten eine geheimisvolle Videoabteilung, kooperierten mit der Patientenbibliothek und entwickelten tänzerisch installative Methoden. Über vier Wochen besuchten sie das Gelände und präsentierten ihre Filme/Text und Fotoarbeiten innerhalb der Ausstellung Bodylandscapingtime in der nGBK.

 

 

János Brückner Carsten Lisecki Lecture Performance  nGbK Berlin Fotos Johannes Bock
Spaßforschung Charité mit Janos Brückner
János Brückner Carsten Lisecki Lecture Performance  nGbK Berlin Fotos Johannes Bock
János Brückner Carsten Lisecki Lecture Performance nGbK Berlin Fotos Johannes Bock
Installation Spaßforschung Foto J. Bock
Foto J. Bock

Resident der Nächstenliebe – dokumentationsbasierende Prosa

Hartmut Wensing wohnt seit acht Monaten im 21. Stockwerk des Bettenturmes der Charité. Sein geräumiges Studio ist einer zeitgenössischen „Freunde von Freunden“-Behausung nachempfunden: Afghanische Kriegsteppiche korrespondieren mit einer Bulthaup Küchenzeile, Grcic Hockern, einer abgewetzten Lümmelecke von de Sede und lässig verteilten Kunstwerken, die sich ihm im Laufe der Zeit aufgedrängt hatten. Dort, wo bis vor ein paar Jahren noch seine entfernteren Bekannten sich als medizinische Versuchskaninchen verdingten, um den Winter in Südostasien zu umgehen, war er jetzt „Resident Artist“ mit unkündbarem Vertrag, der sich an dem durchschnittlichen Salär eines ledigen Oberarztes orientierte. „Läuft doch“ dachte er, wenn sich nach dem Erwachen seine verkrusteten Augen am weitläufigen Berliner Panorama festhielten.

Sein Auftraggeber, der Vorstand des Universitätsklinikums, hatte grob umrissen worum es ihm ging: Er sollte endlich Sauerbruch und all den anderen mitgelaufenen Nazi Ärzten den Nimbus zerkratzen. Die Mission lautete Konzeptkunst, für die man eigens einen White Cube im Souterrain des Beschwerdemanagements einrichtete.

Bisher war Wensing auf der Suche nach Inspiration und entfernte sich thematisch mehr und mehr von seinem Auftrag, da er sich als frei forschender Künstler begriff. Mit Mundschutz und Schlafanzug bekleidet, unternahm er ausgedehnte Streifzüge durch jegliche Abteilungen, flanierte über aufgeräumte Grünflächen und meditierte in dem von einer vietnamesischen Familie betriebenen Blumencontainer vor einer ewig nickenden Plastikkatze.

Er entdeckte ein Videostudio, welches von mysteriösen Filmemacherinnen seit den frühen 80er Jahren betrieben wird. Leider waren sie dem fruchtbaren Networking unter Künstlern nicht zugeneigt und ließen die Sicherheitskette an der Tür geschlossen, als er sich ihnen unangemeldet, aber mit einer Packung Toffifee bewaffnet vorstellte.

An einem regnerischen Wintertag sah Wensing einmal den Todesengel der Charité im Frauenknast Pankow als talentiertestes Mitglied der hauseigenen Theatergruppe agieren. Aus der Presse erfuhr er, dass die ehemalige leitende Krankenschwester Irene B. das Fernstudium “Kunst erweitern und verstehen” absolviert hat und sich auf Freigängen u.a. im Bauhausarchiv fortbildete. Eine Kollegin also, aber sicherlich keine große Hilfe, um in der Klinik Türen zu öffnen.

In der Patientenbibliothek nahm er täglich seinen Nachmittagskaffee ein und erfreute sich am unkonventionellen Charme des drahtigen stellvertretenden Direktors. Hier las er im „Informationsblatt der Abteilung Kultur“ aus dem Jahre 1974. Er träumte sich in den Hörsaal der Zahnklinik, wo der Film „Der Leopard“ aufgeführt wurde: Ein soziales Drama um Gerechtigkeit von Nabil Maleh über einen Bauern im Befreiungskampf des syrischen Volkes.

Wensing freute sich außerdem über das Angebot eines Herrn Wunderlichs, den Patientinnen der Frauenklinik regelmäßig ein Ständchen darzubieten. Über ihn hätte Wensing gerne mehr erfahren, doch Google kannte nur den bereits 1966 verstorbenen Opernsänger Fritz Wunderlich.

Abends suchte er in seinem Archiv nach dem Gerichtsmediziner Otto Prokop, den er vor Jahren in Einsteinpose mit herausgestreckter Zunge an der Haltestelle Friedrichstraße spontan fotografieren durfte. Der wäre zwar auch „Thema verfehlt“ aber wo ist dieses verdammte Negativ nur???

Gerichtsmediziner Otto Prokop nach Feierabend an der Tram Haltestelle in der Friedrichsstraße
Otto Prokop Charité, Carsten Lisecki 1992
AUA - Mitgefühl und Toleranz sind die Eckfeiler moderner Zahnheilkunde
Aua, Gouache auf Papier, Carsten Lisecki